In den Süden wollte ich, schon als ich ganz jung war. Ich wollte da sein, wo es warm ist, wo die Erde wärmt. Seit 1972 lebe ich in Spanien, auf Ibiza. Eine lange Zeit für diese Insel. Sie hat Stellen, die sind auch heute noch schön, aber das sage ich nur zu mir. Ich bin hierhergezogen, um mit mehr Raum zum Ausscheren unnabhängige aufgestaute Informationen verarbeiten zu können. Eingetauscht habe ich eine neue Isolierung: Mit sich selber auskommen.

Soll keiner sagen, er brauche die Stadt und das alles: der nicht den Tag kennt, wenn der Abend kommt, den Gesang der Nacht. Stille muss man hören.

Mein Haus ist alt, mit vielen Bäumen, Gräsern, die ich liebe, auch wenn im Sommer die Sonne das Grün verbrannt hat: abends geht sie unter mit so vielen Farben, daß ich keine mehr gebrauchen mag.

Gestern war der rote Regen: Roter Sand aus der Sahara, der mit den Wolken übers Meer kommt. Das Haus hatten wir einen Tag vorher weiß gestrichen. Weiß ist eine gute Farbe: in ihr spiegeln sich alle. Weiß, die Farbe der Freude, die Farbe der Trauer. Mehr als von beiden kann ich nicht erzählen.

Mein Lehrer war Willi Baumeister. Von 1948-52 Akademie Stuttgart und die ersten durch eine Linie geteilten Bilder: Baumeister wollte wissen, ob ich eine asiatische Großmutter habe - aber sie kamen aus Rumänien und Korsika.

Mein Vater war Tischler, meine Mutter Bäckerstochter. Wenn ich Holz rieche, Brot, bin ich wieder ein Kind, das nicht weiß, was es besitzt.

Heute habe ich einen Sohn und eine Tochter. Ingrid, meine Frau, verwöhnt mich seit 30 Jahren, wenn sie mich nicht ärgert, oder ich sie, oder wir uns. Katja, meine Tochter, schmiedet Gold; Stephan macht Musik. Früher haben sie von mir gelernt, wie Kinder von Vätern, wenn´s gut geht. Heute ist es umgekehrt.

Ich knicke jetzt Pappen. Der Bruch ist ein Riß, ein Aufbruch, der trennt und doch beides zusammenhält. Ich male viel auf Papier, Karton, Holz, auch Stoff, wie früher, und arbeite mit altem, der Sonne ausgesetztem Holz. Bei allem die gleiche Idee: Kontrast von Fülle und Leere, von tot und bewegt, von laut und still - mit Material "ohne Wert", um die Unabhängigkeit einer geistigen Vorstellung von der Kostbarkeit des Materials zu überprüfen. Die Prüfung eines Materials für den Wert einer Aussage ist der ständige Antrieb zur Vergrößerung der eigenen Palette und hat die gleiche Faszination wie der Versuch, einem Klumpen Lehm Atem einzuhauchen. Einige der Arbeiten aus Holz, wie auch die "Windformen" sind für die dokumentarische Fotografie konzipiert; Objekte, die auf dem Fotoabzug einen anderen Stellenwert einnehmen sollen, als das Ablichten eines Objets trouvé, eines gefundenen Gegenstandes.

Ich male mit Buchstaben FARBE auf Holz oder Papier, oder ROToder BLAU oder GELB, nicht rot oder blau oder gelb:
Ich schreibe auf Bilder ROT, BLAU, GELB und schwarz, ganz einfach schwarz. Rot ist die Liebe, obwohl das hier Schwarz steht. Die rotten Brigaden sind rot und sind nicht rot. Indianer sind rot und sind nicht rot. Farbe wird abgerufen durch ein Wort. Der geschriebene Begriff ROT ist meine abstrahierte Anwendung der geschundenen Farbe, der wieder in Gang gesetzten Farbwelle, die in wiederkehrenden Intervallen gleichermaßen bestimmbar ist, wie eine jurze Rocklänge, oder eine lange Rocklänge. WIND oder PARK stehen als konkrete Begriffe neben malerischen Vorgängen und lassen Interpretationen zu:

Die benutzten Worte zeigen Richtungen an ohne Grenzen.

Kant hat gesagt: Wir haben keine Ahnung, wie die Dinge "an sich" sind. Wir kennen sie nur in unseren eigenen "Kategorien". Diese Kategorien sind Wahrnehmungs- und Denkformen, Erkenntnisstrukturen, die nichts mit den Dingen an sich zu tun haben, sondern erst von uns an sie herangetragen werden. Die Welt selbst ist uns nicht zugänglich; wir haben es immer nur mit einer von uns interpretierten Welt zu tun.

Manchmal sehe ich meine ersten Bilder: den Weg im Walde, als ich an der Staffelei die Sonnenstrahlen zu malen versuchte, die durch die Tannenbäume den Weg zu meinem Holzhaus in Höxter an der Weser zeigten, in dem ich einige Jahre als junger Maler lebte. Wo ich zu meinem Vater sagte: "Das Lied, das aus der Kehle dringt, ist Lohn genug." Und manchmal glaube ich, genau wie damals, die Sonne, alle Schönheit einfangen zu können, damit die Sehnsucht, das Suchen, ein Ziel erhält. Ich sehe auch meine alten Bilder mit den verzerrten Gesichtern, zerrissenen Augen, die tot das Licht suchen, Menschen, wie Pflastersteine aneinandergekauert, die keinen Weg finden - der Mann und die Frau als einzige Pole. Ich weiß, daß damals wie heute die Geschehnisse die gleichen sind, nur ich bin es, durch sie, nicht mehr; und daß wir, die Maler, nicht aufgeben werden, die Ängste einfangen zu wollen, damit sie ein Ende nehmen.
Barcelona, eine Nacht mit dem Schiff entfernt. Immer Station auf dem Weg nach oder von Deutschland. Barcelona, soviel quirliges Leben, Schattierungen auf engem Raum, habe ich nie gesehen - in New York vielleicht. Ich möchte mich sattsehen. Ich will Papier kaufen, um darauf zu malen, ich weiß noch nicht was. Ich freue mich darauf, obwohl ich nicht weiß, auf was ich mich freue. Etwas zu Papier bringen, den Herbst, den ich in Deutschland gesehen habe? Papier, es ausbreiten, sich davor setzen und irgendwann anfangen, ohne Plan, ohne Entwurf. Die Fehler sollen in den Bildern unter den Farbschichten vergraben sein. Obsessionen, in Bildern eine andere Welt, nicht die Wiederholung unserer Schwierigkeiten. Ein Stück Frieden soll in meinen Bildern sein: ein Weg auf der Suche dahin.
In der Calle Hospital: ich habe Zeit, ich sehe. Drei alte, bleiche Männer stehen in einer Ferreteria, einer Eisenwarenhandlung, die noch älter ist als sie. Tausend vergilbte Schachteln, in Regalen bis zur Decke, mit Schrauben, Nägeln, Beschlägen. Einer der drei Männer steht an einer Leiter, gebeugt. Hält er sich fest? Einer an einer Theke, rechts am Eingang. Ich spreche mit ihm über Nägel, aber nicht er, sondern der Mann an der Leiter antwortet. Der dritte von den Männern steht in einem kleinen Verschlag; an der geriffelten Scheibe steht CAJA, Kasse. Drei alte Männer stehen so da, wenn man in den Laden kommt links, in der Mitte und rechts: als würden sie auf etwas warten. Auf was warten die drei alten Männer?
Über Genua wollte ich ein Fotobuch machen, über Barcelona noch viel lieber. Ganz viel muß der wissen, denke ich, der einen Film drehen will und meint, mehr tun zu können, als eine Kamera aufzustellen im Barrio Chino in Barcelona. Soviel wie 1000 Leute dieser Stadt müßte der wissen. Nach Barcelona trau ich keinem Drehbuch mehr!
Wieviel wohl und was alles in den Schachteln war. Hatten die drei alten Männer vergessen, daß sie den Inhalt der Schachteln verkaufen wollten? Sie standen nur da. Ich brauchte für Leisten um meine Bilder 15 mm lange Nägel. Der Mann an der Eingangstür hörte nichts, hatte er nichts zu sagen? Der bleiche Mann, der sich an der Leiter zu den Schrauben stützte, sagte verneinend no hay. Ich kaufte 10 mm lange Nägel. Der Mann an der Kasse, hinter geriffeltem Glas, nahm die Peseten ohne aufzusehen. Wollten die drei bleichen Männer mir keine 15 mm langen Nägel verkaufen? Was wollten sie - sie waren schon alt - mit ihren 15 mm langen Nägeln. Ich brauche 15 mm lange Nägel!
Abends um 8 Uhr ging immer der Dampfer, die Ciudad de Barcelona nach Ibiza. Das Auto hing in Netzen beängstigend in der Luft, bis es im Bauch des Schiffes oder an Deck verstaut war. Wir kamen immer in den großen Ferien, im Sommer. Die Kinder schliefen auf Deck, wir in Liegestühlen, in der Nähe der Gitarrenspieler. Heute heißen die Dampfer Compostella oder anders. Es sind große Schiffe, ohne Liegestühle unter einer Plane für die Nacht. Heute fährt man mit dem Auto direkt ins Schiff, im Kreisverkehr. Es ist so einfach.
Wenn ich einen Tag gemalt habe, stehe ich ganz krumm und gehe mühsam einen Schritt und wieder einen. Ich halte mir das Kreuz. Angeschossene gehen so, bevor sie umfallen. Im Film würde sich in Großaufnahme eine zum Aufwachen schöne Samariterin über ihn beugen: Mein Held; und kühlt ihm mit einem Tuch die heiße Stirn.
Oh, ich weiß, sie wollen mir garnichts verkaufen. Sie würden sich überflüssig machen. Sie verkaufen nichts, weil die Schachteln leer sind. Niemand darf wissen, daß die Schachteln leer sind. Kein Lieferant wird den drei alten Männern noch neue Nägel und sonst was verkaufen, weil sie nichts verkaufen. Damit die drei alten Männer noch länger in dem Laden stehen können, hüten sie leere Schachteln.
Schlemmer ist tot, Malewitsch, Maier-Amden. Das Schwanken zwischen Mondrian und Rothko, ja, das war wichtig. Sie alle sind mit ihren Bildern ein Maß, ein Schutz vor dem großen Kunstsalat.
Wenn man mich über Bilder fragt, rede ich, manchmal zu viel; ich möchte mich verständlich machen. Mit Worten über Bilder? Vor einigen Jahren habe ich das so formuliert:
"Meine Bilder, meine Absichten, sind wie alle Absichten mit Bildern durch Worte nicht zu umschreiben. Beschreibe Linien, die Nuancen von Weiß... Tastend entstehen sie, und kein Ergebnis ist wie der erste Gedanke. Wer die erste Seite schreibt, weiß nicht die letzte. Wer den ersten Schritt tut, kennt nicht den letzten. Ein Strich bedingt den nächsten und begibt sich in Abhängigkeit bis zum Ende, zum organischen Gebilde, das keine Fragen mehr zuläßt.
Ich habe die Fläche, den begrenzten Raum, darin die leere Hälfte: den Halt, das Intakte, unberührt, bereit Gegenüber zu sein der Heiterkeit, der Trauer, den Ängsten, dem, was ich nicht buchstabieren kann. Ich fülle das abgesteckte Feld, ohne Absicht, wie mich die Jahre gefüllt haben. Unsicherheit kommt, wo die Absicht kommt. Da sein, ohne es zu wissen, selbstverständlich wie Regen, Wasser, das fließt. Den Widerstand spüren, Wellen, die brechen am Strand, Wind, der einen Halm bewegt.
Danach: das war ich? Und morgen? Frei sein ist, das Erreichte zerstören. Das Erreichte festhalten, wird mich zerstören. So reihen sich die Bilder."
Es geht mir darum, alle bildnerischen Mittel zu berücksichtigen: nämlich ein Bild nicht allein Empfindungen zu überlassen, oder nur als Resultat systematischer Variationen der möglichen Vielfalt an Proportionen zu sehen, sondern, wie Piero della Francesca, ein Gerüst zu finden, in dem unserer Gegensätzlichkeit entsprechend, Platz hat, was uns als Menschen ausmacht: Emotion und Verstand.
Wir bekommen Wasser: Es regnet. Der Regen wird auf den Dächern gesammelt und fließt dann von Dach zu Dach in die Zisterne. Die Häuser haben hier viele Dächer. Mit der Sala, dem Wohnraum, und einem Schlafraum fängt es an, dann für das Kind ein Raum und für das nächste Kind oder für die Schafe und für die nächsten Schafe. So entsteht was. Mit einem Bindfaden messe ich in der Zisterne wieviel Wasser wir noch haben: soviel wie der Faden naß ist.
Das Nebelhorn hört man vom Hafen bis zu mir herauf. Ibiza sieht man nicht: Hinter einer weißen Wand liegt die Stadt, hinter einer Nebelbank. Schiffe fahren aufeinander zu und sehen sich nicht. Durch die weiße Übertünchung verliert alles seine Aufdringlichkeit. Man kann neu anfangen zu denken, man kann den Dingen neue Erfahrungen zuordnen. Ich will Euch leeren mit zwei e geschrieben, sagte Willi Baumeister zu uns. Der große Nebel soll kommen über alles. Über tausend laute Bilder.
Wenn ich male, vergesse ich; ich befreie mich. Das möchte ich: weiterkommen, fort von mir. Ich stand auf meinem Dach und sah wie der Nebel kam. Das Bild war schön.
Wie Du heißt, wie meinst Du das? Ich habe vergessen, wie Du heißt. Matka oder Babuschka. Ich sage einfach, jetzt, ich bin Russe. Was weiß ich, was ich bin. Die Mädchen, die ich geliebt habe - für Ingrid war das schwer, aber sie hat das fast immer verstanden. Wenn das doch so wäre, daß Glück auf den anderen zurückstrahlt. Wir sind noch immer zusammen. Zur Silberhochzeit haben wir nichts unternommen - als ware es nichts Besonderes.
Manchmal gehen wir ins Kino. Im Winter, wenn die Insel leer ist von den bunten Leuten. Wenn sie da sind, ist das Kino. Im Kino gibt es immer zwei Filme hintereinander, mit einer Zigarettenpause zwischen den Filmen. Verstehen kann ich noch immer fast nichts. Manchmal würde ich auch in eine Kirche gehen - da finde ich es gut, daß ich fast nichts verstehe. Aber ich habe Angst vor dem Gesicht des Pfarrers; es macht so viel kaputt. Ich mag nicht, wenn Frauen abwaschen, oder ich; oder der Pfarrer vor meinen Augen den Kelch abwischt, mit dem Tuch und dem Gesicht zu mir. Der Altar ist außer Betrieb gesetzt, oft durch einen Küchentisch ersetzt, weiß gedeckt, an den Beinen kann ich das erkennen. Die katholische Kirche wird daran zugrunde gehen. Als Kind konnte ich in der ganzen Welt in die Kirche gehen: die Worte waren fremd und doch geheimnisvoll vertraut. Die Pfarrer sprechen nicht mehr eine Sprache. Die Kanzeln stehen leer. Es kommt keine Stimme mehr von "oben", die ich höre. In diesen Häusern wohnt Gott nicht mehr. Ich habe mir schon vorgestellt, Pastor zu sein.
Ich lebe gern. Auch wenn ich weiß, daß er nicht schön wird, begrüße ich den Tag. Schmerzen verlieren ihre Angst. Widersprüche umgeben den Tag, wenn ich wach bin. Die Jugend ist Reichtum, das Alter ist Reichtum, schrieb Eluard. Ich fand das sehr schön als ich jung war; als ich älter wurde, gefiel es mir immer weniger. Man hat immer mehr zu lernen.
Die vielen Maler, die es gibt, wer sagt denn, es ist einer dabei und noch einer und einer, der es besser bleiben läßt? Wer kann denn über den Tag sehen und kennt die Mühe der Ohnmächtigen. Genügt es freundlich zu sein?
Weiße Wolken formen sich zu immer neuen Gebilden, um sich wieder zu verlieren zu neuen. Das Rahmenschneiden ist schon eine Plackerei, meine Hände sind lahm. Ich wollte malen, ich lasse mich treiben. Ein großer Fisch sind jetzt die Wolken. Wer einen großen Fisch in meinem Bild entdeckt, verleidet mir das Bild: ich muß es ändern. Den Fisch nur sehe ich, wenn ich das Bild anschaue. Am Himmel ist das anders. Der Fisch am Himmel wird immer länger. Wer jetzt zum Himmel schaut, wird ihn nicht finden. Grau war er, rosa und jetzt golden.
Der Bott hat sie mir mitgebracht, sie ist wie ein Flugblatt, die Rede des Häuptlings Seattle, 1855:
"Wie kann man den Himmel kaufen oder verkaufen, oder die Wärme der Erde? Diese Vorstellung ist uns fremd. Wenn wir die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers nicht besitzen, wie könnt ihr sie kaufen?" Oder: "Wir wissen, daß der weiße Mann unsere Art nicht versteht. Ein Teil des Landes ist ihm gleich jedem anderen, denn er ist ein Fremder, der kommt in der Nacht und nimmt von der Erde was immer er braucht. Die Erde ist sein Bruder nicht, sondern Feind, und wenn er sie erobert hat, schreitet er weiter." Oder "Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde."
Schöne Sätze für diese Insel, aber wer weiß davon? Und wir, die davon wissen, schleichen uns davon.
Du hast am alten Schweinestall gegraben? Wir sitzen da gern, wenn der Wind von Osten kommt. Du gräbst so gern im Garten, um die Bäume, damit der Regen nicht davonlauft, und sie wachsen. Du kratzt um die Kakteen, um die einen ganz besonders: die rosa blühen, für einen Tag. Wie oft hast Du und ich den Tag verpaßt, an dem die Kakteen rosa blühen. Du schneidest die Weinstöcke, die Rosen, aber zu kurz. Du wühlst. Sag, hast Du den Schweinestall umgegraben? Du warst so erschöpft, als Du reinkamst und das Essen machtest.
Freust Du Dich, wenn Du das Land spürst unter Deinen Füßen, wenn den Stein im Weg Du fortschlägst mit einem Schritt und Du weiterkommst?
Ich ertappe mich dabei, zu träumen von Josef und seinen Brüdern, obwohl ich sie immer verwechsele, von einer großen Familie, von Heimweh wohin? Glaubst Du dem, der Dir sagt, es war schön?
Ist es ein Traum, daß die Krankenschwestern den zerschundenen Leib mit dem Kopf nach unten halten und mir das geronnene Blut aus den Lungen schlagen? Der Raum, in dem, mehr als irgendwo, der Tod das Leben jagt - wo Mary, fast noch ein Kind, wie aus Porzellan oder ein Heiligenbild für Südamerika, das Leiden intensiv als Unterricht erfährt, wo Rose, mit jungen Augen, ein Lächeln zu den Schmerzen findet. Sonst ist kein Licht im Raum - und Tag und Nacht sind ohne Grenze. Vergessen, kann ich das? Verflucht, ich will Ameisen töten, die mir das Holz der Pergola zernagen, verflucht. Der Raum, qualenvoll, und in ihm Rose, die schon zuviel gesehen hat. Verschwommen wird das Bild - : Ich möchte es nicht wiederfinden.
Das interessiert: Farben, Formen, die nicht verbraucht sind von Mode, Werbung, Design. Bilder sind die Fundgrube für die angewandten Künste, für den Markt. Es gilt in dieser Wechselwirkung nicht die Unabhängigkeit der Kunst zu verlieren. Im Schlepptau des Marktes ist alles verloren.
Liebe Zeit, was alles einmal Wert hatte:
Die Pop-Art war keine Hinterfragung des Konsums - wir wollten genießen, endlich im Überfluss schwelgen, in Pink und Rot, in Banalität wie in einem Schaumbad. Wir bewegten die Oberfläche und reizten die Netzhaut - kurze Zeit. Ein Freund von mir wollte Hannibal bauen, so nannte er das große Haus für 2000 Leute unter einem Dach. Das fand ich gut. Für Zeitungen habe ich gearbeitet, neue Zeitungen entworfen - und nie über den Papierkorb nachgedacht. Man konnte vieles loswerden, aber es ist ja so toll, sich wichtig zu fühlen.
Ich zeichne Schatten von Strichen, die auf einer großen Fläche stehen. Die Schatten machen, wenn ich sie zeichne, ein Geräusch wie Weinen, wie Schluchzen, weit weg.
Hat nicht neulich jemand gesagt, Oskar Stammler sei tot? Er schoß so gern, auf dem Rücken am Boden liegend, Löcher in die Decke. Seine Wirtin, eine alte Gräfin, lag neben ihm und schoß auch. Ich mochte ihn gern. Er hat Zeitungen gemacht, als ich auch Zeitungen machte. Oskar ist mit den Zigeunern gefahren. Er war ihr Blutsbruder. Gitanos nennt man sie hier. Sie wohnen, wo sonst keiner wohnen will; und doch, sie sitzen im Kreis und tanzen: abwechselnd, einer nach dem anderen. Es ist schön, sie sind eine große Familie; die Mutter von allen tanzt, der Alte krächzt heiser dazu: Liebe und Tod beieinander, und alle klatschen im Takt. Für Zigeuner müssen wir verrückt sein. Oskar war Chef einer Millionen-Zeitschrift und fuhr dann lieber ein Taxi und kochte Spaghetti. Er war nicht verrückt.
Es ist aufregend, wenn die Striche einer Zeichnung sich addieren. Ist sie noch zu leicht oder zu schwer... Wann soll ich aufhören? Ich muß etwas entdecken, wenn es Spaß machen soll - spazierengehen in einem fremden Land. Das Papier füllt sich, noch ist es selbstverständlich, wie das Gras auf meiner Wiese. Wann soll ich aufhören, jetzt sollte ich aufhören: Da kommt die Angst, es zu zerstören, das Gewonnene zu verspielen. Ich darf nicht kalkulieren. Kalkulieren kann ich nur mit dem, was ich vergessen muß. Nur ohne Angst kann ich gewinnen, was meinen Traum ausmacht. Ich habe weitergezeichnet und hätte aufhören sollen. Ich wollte zuviel gewinnen.
Die Insel ist schön. Als die Sonne unterging, der Nebel aufkam, war sie ein Paradies. Seit mehr als zweitausend Jahren zieht es Menschen hierher. Sie kommen gierig, sie brechen ein, heute wie damals. Mit Bulldozern durchpflügen sie das Land und gleichen es dem an, was sie verlassen haben. Wer seinen ganzen Ballast mitschleppt in ein anderes Land, liebt nicht das neue Land.
Welche Anmaßung gehört dazu, Bilder zu malen und zu glauben, etwas mitteilen zu können. Was veranlaßt mich, das zu tun, bei dem Mißtrauen, das ich habe für den Sinn jeglicher Bemühung, eine Veränderung herbeifuhren zu können, die erlaubt, ohne Lavieren und Tricks, ohne treten zu müssen, ohne Gewalt, die Tage zu verbringen? Ich gehe hinauf ins Atelier und werde nachdenken über weißem Papier, das ich verletzen werde mit dem ersten Strich, und das ich vielleicht zu einem Gebilde transformiere, das identisch ist mit dem, was ich erfahren möchte... Und dennoch setzt diese Mühe voraus, daß es einen Sinn gibt, Bilder zu machen, sich zu zeigen. Kranken wir daran zu glauben, sinnvoll im Unsinn zu sein? Ich male weiter, was soll ich tun.
Wer tröstet Dich, wenn Du redest und Dich keiner stört? Wen suchst Du, wenn Du auf einem Berg stehst und winkst?
Flachgewalzte, verrostete Blechdosen stehen ringsum meinen Kamin. Es werden immer mehr. Alles was wir machen, sollte so selbstverständlich sein, wie die planlos zerwalzten Blechdosen, die ich - dennoch wie von einem Meister geformt - am Wege finde.
Steckt hinter der Anonymität der Bauhütten mehr als die Handfestigkeit von Arbeitenden, gelenkt von einem, der den Geist seiner Zeit in Formen meißeln und vermitteln konnte? Dann hat sich viel geändert. Manche zu bewältigenden Formen bedingen Mitarbeiter. Walther de Marias Mitarbeiter am 1000-m-Documenta-Bohrloch waren andere Arbeiter, Ölsucher vielleicht, aber nicht infiziert von einem mystischen Gedanken. Sie, die jetzt Kirchen bauen und Kinos, machen, verwechselbar sich gleichend, Kelche und Fußballpokale. Sie denken in ökonomischen Rastern, in Systemen wirtschaftlicher Vernunft. Raster bestimmen das Maß der Bausteine und unser Denken: Normen, Fertigteile sind die Konsequenz. So wird geplant und gebaut. Wir leben darin.
Mein Nachbar auf dem anderen Berg läßt eine alte Finca mit 300 Jahren Vergangenheit abreißen, um dort ein neues Haus zu bauen. Nicht die Kraft einer neuen Zeit reißt diese Häuser nieder, um neue zu bauen. Ich male Bilder, die wer weiß wo hängen werden.
Viel ist passiert, doch hat sich nichts geändert. Manchmal bin ich wie zwanzig, so alt wie Du damals warst, als wir irgendwo im Süden an einem kleinen runden Tisch am Meer Campari tranken. Gestern, oder es könnte auch morgen sein. Freust Du Dich, daß Du sehr schön warst? Kannst Du das?
Im November möchte ich nach Venedig fahren, wenn das Wasser den Markusplatz bedeckt, wenn es regnet, auf den Canale Grande, auf die 1000 Brücken und auf mich. Ich möchte im November im Regen lachen.
Weihnachten wird hier die Sonne scheinen. Bei blauem Himmel singt man andere Lieder. Zu Wehmut ist Schnee besser geeignet, zu Träumen von gestern. Träume und Traurigkeit müssen hier Sonne aushalten. Es ist ein anderes Land. Vor dem Läuten der Glocken und nach dem Läuten der Glocken ist die beste Werbezeit. Man will es wissen, was das Leben leichter macht. Silvester soll es regnen, damit das Jahr reich beginnt: "El agua es lo más verde que hay" - das Wasser ist das Grünste, was es gibt. Im Fernsehen lachen die Gesichter, junge Leute laufen am Strand, ein weißer Schimmel trägt ein blondes Mädchen, schön ist das Leben, so leicht, federnd. Und man kommt nach oben; man nennt das so. Mit weißen Händen hast Du viel gewonnen. Spritzendes Wasser, eine Yacht mit vollen Segeln, und einer strahlt schöner als der andere. Verdammt, die Welt ist schön. Wir sitzen davor.
Du stellst die Blumenvase von der einen Ecke in die andere, streichst die Wände und schmierst Kitt in die Ritzen der Fenster. Du wartest, ohne Widerspruch.
Wer klein ist, will groß sein. Wir sind so: Wir haben die Zeit, in der wir kein Kind mehr sein wollen, wo uns Kindsein nicht mehr genügt. Das andere. Immer das andere, bezahlt mit dem, was seinen Wert verloren hat. Weiter, schnell, die große Welt wird immer kleiner.
Ich atme tief ein, aber die Luft ist feucht: die Insel. Nirgendwo habe ich so viele Sterne klar gesehen. Die Kassiopeia steht, wenn ich vor die Tür gehe, wie bei meiner Hütte am Waldrand von Höxter an der Weser: Wenn ich zum Himmel schaue oben rechts. Ein Sternbild wie ein Wiegenlied, wie ein W. Sterben, so einfach ist das nicht.
Hast Du einen Bruder, der da ist? Kennst Du das? Ich spreche mit ihm, wenn ich nicht weiter weiß. Er wußte es. Morgens, wenn er aufstand lachte er. Er konnte nie nein sagen; er fand das unerfreulich.
Seit drei Tagen tobt ein Sturm ums Haus. Der langersehnte Regen tropft jetzt an vielen Stellen ins Haus. Viele Töpfe sollen ihn auffangen. Am ersten Tag kämpft man verbissen gegen jede sich bildende Wasserpfütze - das läst jetzt nach. Ein Rückzug auf die wichtigsten Stellen des Hauses. Das Haus schrumpft. Wir merken, wie groß es ist.
Die Berge sind hier viele nebeneinanderliegende Busen. Der sie einhüllende Nebel kommt von See. So stelle ich mir Japan vor, das alte Japan; wie Shakuhachi-Töne auf den Schallplatten meines Sohnes. Sie sind am schönsten, wenn der Nebel kommt, wenn der Mond seine Zeit hat. Weite soll ein Lied haben, möchte ich; Weite und mich anstoßen zum Stillsein. Dann träume ich von einem Land, in dem Menschen ganz nahe beieinander sind und doch ihre Arme weit ausstrecken können, ohne sich zu stoßen; wo sie ihre Lippen bewegen ohne laut zu sein und doch jeder jeden versteht; wo es Liebe gibt, ohne sich weh zu tun. Ich träume von einem Land, in dem es nur einen Garten gibt.
Die drei Männer in der Ferreteria in Barcelona, was sie jetzt wohl machen? Ob sie tot sind? Oder einer? Wo stehen die beiden letzten dann? Wie verteilen sie sich, ihre Arbeit so dazustehen? Wenn der an der Kasse gestorben ist, weg, wer darf dann an die Kasse? Wer will zum Schluß noch an die Kasse?
Eine Mücke im Winter, die ist verrückt, setzt sich auf meine Hand. Ich schlage daneben, wie immer. Obwohl ich weiß, daß ich daneben schlage, schlage ich nach Mücken. Ich lerne nicht.
Der Wind hat nach Osten abgedreht, aber die Fenster bleiben zu. Ich mache sie auf und mache sie wieder zu. Bei Ostwind kommt der Müllgeruch in unser Tal und bis zum benachbarten Dorf Jesus. Viele werden reich vom Müll - und ersticken daran?
Wir gehen in eine Diskothek. Ingrid tanzt wie von Sinnen. Ich schaue zu. Die Mädchen. Ab und zu gebe ich Ingrid das Taschentuch; sie trocknet ihr Gesicht. Dann stecke ich es wieder ein, sie tanzt weiter. Ich halte das Taschentuch. Das ist schön hier in Ibiza, daß sich alles mischt, jung und alt, sie tanzen miteinander. Ein junges Mädchen hat mich geküßt. Du bist so komisch, hat sie gesagt, und mich geküßt. Meistens schütten junge Mädchen mir ihr Herz aus. Ist das viel?
Ich möchte fliegen können, wie ein Vogel so leicht, nicht holprig wie ein Flieger, wo ich nicht nach unten schauen kann. Aber wohin? Ich möchte fliegen und weiß nicht wohin.
Als wir wiederkamen, viele Tage waren wir unterwegs, war alles fremd, das Haus, der Garten war wie ein Parkplatz auf der Reise.
Weiter mitspielen, wie es so gemacht wird, wie es mir, wie es Dir tausend Tage gezeigt haben. Ist das ein guter Gedanke, weiterschwimmen, Bilder malen, um sich anhand meiner, anhand Deiner Erfahrungen aussichtslos zu irren? Gesammelte Erfahrungen sind mein Tod, sind Dein Tod, mein Lieber, wenn ich, wenn Du stolz darauf bist. Sie brechen mein, sie brechen Dein Genick. Jedesmal hat es knack gemacht Und ich dachte und Du dachtest, knack sei Erfahrung, Denke ich, denkst Du immer noch, knack sei Erfahrung? Wenn wir achthaben vor unseren Erfahrungen, können wir uns wundern: Neu sein, aufnehmen.
Ich sitze im Café am Teatro, es gehen viele Leute vorbei. Viele Gesichter kenne ich. Einige nicken. Ich nicke auch. Buntgestreifte lange Wollstrümpfe stelzen vorbei. Geht's Dir gut? Es ist o.k. Du siehst gut aus, hast wieder Farbe. Ich gehe nie in die Sonne. Freunde kommen Weihnachten. Das Telefon da ist kaputt. Fast alle Telefone sind kaputt, wenn man sich was zu sagen hat. Ich setze mich zu Dir. Pah, ist das ein schöner Tag. Ja, sage ich, schön. 47 Peseten für einen Kaffee, die haben einen Vogel. Wie soll das in der EG funktionieren. Hallo, Ihr Lieben, ich muß nach Hause. Ich weiß nicht, hier ist der Tag so kurz. Ronert will sein Haus verkaufen. Zwölf kriegt er nie. Er hat jetzt drei Palmen gepflanzt, vom deutschen Gärtner; bei dem wehen wie auf einem Rummelplatz die Fahnen der Nationen vor dem Gemüse. Palmen sagtest Du? Trotzdem.
Mit unserem Bus ist es schwer in der Stadt zu kurven. Wie verbeult die Autos sind. Ich weiß noch, wie an der Vara de Rey ein Verkehrsschutzmann stand, lange bevor es hier Ampeln gab, der sah aus wie Lübke. Das war einer wie Carstens heute, früher, nur lieber. Der war gemütlich, der Schutzmann. Warum küßt man sich auf beide Wangen? Ich muß Miguel danach fragen, der weiß das. Weil man zwei hat, das wäre zu einfach. Seit der Inspektion geht der erste Gang noch schwerer. Wie bei Neff in Ebenhausen, alles holt mich ein. Am Hafen ist eine Häuserreihe abgerissen, wie ein Schlund mit eingeschlagenen Zähnen; hinter einem Blechzaun, der alles verdeckt, liegt die Baustelle. Brokdorf ist überall: Keiner soll stören, was da passiert.
Von den Erben der Apo stand im Spiegel: Willy Brandt haßten wir, obwohl wir ihn liebten. Er war der Beste von den Vätern allen. Gut, daß Du es sagst, Peter Roos. Punkt. Ich liebe ihn immer noch; er ist der uneitelste und der gekränkteste von allen. Es gibt Leute, die nennen ihn einen Verräter. Ich kenne auch solche Leute. Man kennt so viele Leute.
Bei Dutschkes Tod war Funkstille in Deutschland. In Spanien war das anders, da hat man mit Distanz gesehen. Ich bin Deutscher, das sagt sich so dahin. Gelernt haben wir von Dutschke nachzudenken. Alle, links und rechts, angestoßen hat er uns, unsanft angestoßen. Dafür bedankt sich keiner.
Eine Apfelsine tropft mir beim Schälen übers Papier, Über fünf Seiten läuft der Saft, in einem Knick des Papiers. Schön saftig werden sie dieses Jahr. Sauer und süß zugleich. Morgen sind die nassen Stellen gelb und die Ränder etwas gelber. Solche Formen kann ich nicht erfinden. Bin ich beteiligt an den Apfelsinenflecken? Genug, so, daß sie mir gehören, meine Flecken sind, nur meine Flecken sein können, obwohl ich an Bananen gedacht habe, als ich die Apfelsine schälte? War ich beteiligt, sicher, aber so, daß ich die Verantwortung übernehme? So heißt das doch: Ich übernehme die Verantwortung für die Apfelsinensache. Also, war ich genug beteiligt, um sagen zu können, hier sind meine Flecken, obwohl ich an etwas anderes dachte? Das wurde manches klären. Kunst ist das, was die Leute, die es wissen müßten, die längste Zeit dafür halten. An dem Spruch ist schwer zu rütteln. Wie lange aber muß man warten, um es zu wissen. Die Flecken sind nicht schön geworden, sage ich, und weiß ich, ob das richtig ist? Wenn die längste Zeit vorbei ist, ist was? Weiß ich es dann wirklich sicher? Wie finde ich die Flecken dann? Wenn ich z. B. morgen die Flecken toll finde, ist dann die längste Zeit vorbei?
Rot ist ein umfassenderer Wert als das Rot einer rot gemalten Rose. Das ist sicher und schon alt. Aber was soll das jetzt? Da kann man sich festhalten. Danke, mein Lehrer! Die Kunst des Bogenschießens, ist die in der Eigenverantwortlichkeit eindeutiger zu bewerten als der laufende Apfelsinensaft auf meinem Papier? Verdammt, das ist nicht leicht. Wenn ich das verstehe, habe ich was verstanden. Wenn der Apfelsinensaft ohne mich genauso läuft, ist die Kunst des Bogenschießens eine Kunst und der Saft mit seiner Spur keine. Soweit so sicher, sicher. Aber das Schälen einer Frucht mit Saft kann doch als Auslöser eines Kunstereignisses nicht in Frage gestellt werden. Was soll das, meine Damen und Herren, wo doch alles Kunst ist. Warum gibt es nach Kunstgesprächen so erschreckend wenig Totschläge?
Besuch. Ich habe für sie vor zwölf Jahren einen Siebdruck gemacht. Wie geht's denn immer noch. Ach ja, ja ja, kommen Sie doch herein. Und dann geht das los. Schönes Klima. Wie teuer. Wo und wie, warum und so. Wie viele Jahre. Einsam? Fangen Sie die Fische selbst? Sie kaufen die Fische. An der Ecke am Markt, nicht wahr? Ja, an der Ecke oder an der anderen Ecke. Zwei Stunden so weiter: Auf Wiedersehen, kommen Sie doch nochmal vorbei. Ich glaube, Du bist verrückt. Nein, Du bist verrückt. Gut, ich bin verrückt. Fahren Sie hier den Weg runter, unten links, wenn Sie auf den Asphalt kommen rechts und dann immer dem Asphalt nach. Dann kommen sie hin. Adios. Das habe ich von Siebdrucken, nach zwölf Jahren.
Vielleicht sind sie schon längst tot, und niemand hat es ihnen gesagt. Die drei Männer stehen weiter da - und wissen es nicht. Wenn Kinder in den Laden kommen würden und Großvater sagten, ware alles anders gekommen. Wie soll man alt werden und leben, wenn da keine Kinder sind?
Ein neuer Tag. Es wird schnell hell hier. Es ist so viel, was vor einem liegt. Manchmal denke ich, wenn man so liegen bleibt und nicht irgendwas oder sich selbst von einem Zimmer ins andere Zimmer trägt. Sich nicht mehr rührt, es bleiben läßt. Wenn man es einfach bleiben läßt...
Kinder hat man, um sie fortzulassen. Jeden Tag, bis man es kann. Als mein Vater starb, war ich wie erlöst. Ich liebte meinen Vater. Wenn Du Glück hast, bist Du eine Sorge für die Kinder. Aber wer will das.
Hast Du schon mal geheult bei Shanties?
Du möchtest wohin und kommst nicht hin. Du heulst, weil es Träume sind. Du suchst den Trost, daß Dein Traum genügt. Du hangelst Dich weiter. Wenn Du nichts wünschst, wirst Du Ruhe finden. Keine Hürde wird vor Dir sein, keine Angst.
Warst Du Ostern oder warst Du Pfingsten an der See? Was hast Du im April gemacht, oder vor drei Tagen? Kannst Du die Jahre oder vielleicht sogar die Tage auseinanderhalten? Was bringen ein Jahr mehr oder vier oder fünf Jahre; wirst Du sie auseinanderhalten? Am 24. Mai, oder war es ein Jahr zuvor, war etwas, was ich nicht vergessen wollte. Aber was war es? Morgen und morgen und morgen: Immer wird es mehr - immer wird es weniger, was ich auseinanderhalten kann.
Ist alt werden etwas anderes als begreifen, als abhaken? Oder ist es die Augen verschließen, zu sein, zu; sich nicht mehr kümmern.
Es wird Dich verfolgen, wenn Deine Jahre mit dem Erfahrbaren zu wenig übereinstimmen; wenn Du später draufkommst, als die Zeit es verlangt hätte. Darf man so viel schlafen? Aber schlafen, wenn das nicht wäre. Wieviel würdest Du noch einmal machen?
Morgen möchte ich wieder auf Tour gehen. Irgendwohin. Fremd sein, entdecken. Kommt Freunde, last uns nach Kalabrien geben. Ich wollte immer nach Kalabrien - der Name ist so schön.
Oft ist es wie in einem leeren Zimmer ohne Bilder. Bilder will man, um nicht allein zu sein, um sich zu finden, wiederzufinden, wie in Ablegern. In einem leeren Raum bekommst Du Angst, wenn er ohne Spuren von Dir ist. Du suchst Dich, Stallwärme, Narben, Gedränge, sowas. Doch wenn Du Dir selbst zu nahe bist, suchst Du den Raum, der ganz weiß ist und leer und still. So gehst Du hin und her. In beiden Räumen wirst Du Dich finden.
Ich schreibe das für meine Freunde. Es ist ein Brief. Ich zeige mich. Ich bin ein Stück von allen. Ich schreibe an tausend Freunde und weiß nicht, wieviel falsche Adressen dabei sind. Viele alte Briefe sind, wenn man sie liest, ganz fremd: Ich war das, unter einer fremden Haut? Trau Dir nicht, Du kennst Dich jetzt - aber morgen? Wer sich immer kennt, der ist verloren. Da ist das Spiel gelaufen.
Ich gab Dir eine Blüte vom Granatapfelbaum, sie war rot, sie war rot.

 

(3) Micus, Katalog Wilhelm Hack Museum, Ludwigshafen, 1982; S. 23 - 32